Nochmal meine Sicht der Dinge…
Die Wegnahme ist vollendet, sobald der Bruch fremden Gewahrsams und die Begründung neuen Gewahrsams erfolgt sind.
Es geht also um einen vollständigen Wechsel der “vom natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache nach der Verkehrsanschauung“. (Das ist die Definition des Gewahrsams).
Step 1: Besteht überhaupt Gewahrsam beim Opfer: Hier zB “gelockerter Gewahrsam” prüfen. Diesen subsumiert man unter “Verkehranschauung” = wie weir reicht die Sachherrschaft?
Step 2: Kommt es zu einem Bruch: Der Bruch fremden Gewahrsams ist die “Aufhebung der bisherigen tatsächlichen Herrschaftsgewalt des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers gegen oder ohne dessen Willen.”
Ganz wichtig: Ich kann den Gewahrsam brechen, OHNE Neuen zu begründen, in dem ich den Gegenstand nehme und zB in den Fluss werfe.
Zudem kann der G-Inhaber auch einverstanden sein = TB-ausschließendes Einverständnis
Step 3: Die Begründung neuen Gewahrsams bedeutet, dass der Täter (oder ein Dritter) die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache derart erlangt, dass er sie ohne wesentliche Hindernisse ausüben kann.
Entscheidend ist, dass der bisherige Gewahrsamsinhaber nun nicht mehr ohne Weiteres auf die Sache zugreifen kann, ohne die Verfügungsgewalt des Täters zu beseitigen
Dieser neue Gewahrsam muss nicht zwingend gesichert oder gefestigt sein, d.h., der Täter muss die Sache nicht zwingend vom Tatort weggeschafft haben (was die Beendigung der Tat markiert). Dies kann aber zusammenfallen
Hier kommt es darauf an, um welche Art von Gegenstand es sich handelt und ob er sich noch innerhalb eines fremden Herrschaftssphäre befindet.
Step 4. Gewahrsamsenklave bei kleinen Gegenständen: Die Gewahrsamsenklave (auch Körpergewahrsamssphäre genannt) ist ein Konzept, das relevant wird, wenn sich der Täter noch innerhalb der fremden (allgemeinen) Herrschaftssphäre befindet, aber bereits neuen Gewahrsam begründen soll.
Definition: Eine Gewahrsamsenklave entsteht, wenn der Täter eine Sache so eng in seine höchstpersönliche Sphäre bringt (z.B. in die Hosentasche, unter den Mantel, in den eigenen Rucksack), dass nach der Verkehrsanschauung (den Anschauungen des täglichen Lebens) bereits ein Gewahrsamswechsel stattgefunden hat, JETZT ENTSCHEIDEND obwohl sich die Sache noch räumlich im fremden Machtbereich befindet.
Beispiel: Ein Kunde im Selbstbedienungsladen steckt eine Ware in seine Innentasche.
- Ursprünglich hat der Ladeninhaber Gewahrsam am gesamten Sortiment.
- Durch das Verstecken in der engen persönlichen Sphäre des Täters (der Enklave) gilt der alte Gewahrsam des Ladeninhabers als gebrochen und der neue Gewahrsam des Täters als begründet.
- Der Täter hat die Verfügungsgewalt derart erlangt, dass der Ladeninhaber nicht mehr ohne Weiteres auf die Sache zugreifen kann, sondern die Gewahrsamssphäre des Täters (durch Festhalten, Durchsuchung etc.) brechen müsste.
- Die Gewahrsamsenklave ermöglicht somit die Vollendung des Diebstahls innerhalb der fremden Gewahrsamssphäre. Ohne dieses Konzept würde die Wegnahme oft erst mit dem Verlassen des Ladens vollendet sein.
- Bruch und Begründung fallen bei diesem Konzept idR zeitlich zusammen.
Andere Fallgruppen des Gewahrsamsbegründung:
Fallgruppe 2 – Andere Fälle im Laden: Werden die Gegenstände nicht verborgen, hat also der Täter keine Gewahrsamsenklave gebildet, findet der Gewahrsamswechsel spätestens mit dem Verlassen der fremden Gewahrsamssphäre statt, kann aber nach der Verkehrsauffassung bereits früher, beispielsweise mit Verlassen des Kassenbereichs, erfolgen (Wessels/Hillenkamp*/Schuhr* Strafrecht BT II, § 2 Rn. 128; Rengier Strafrecht BT I, § 2 Rn. 51 ff.).
Fallgruppe 3 – Außerhalb des Ladens: Auch in Wohnungen oder anderen Bereichen sind die Grundsätze der Gewahrsamsenklave entsprechend anzuwenden. Dabei wird spätestens mit Verlassen der Wohnung, des Grundstücks, umzäunten Geländes, etc. neuer Gewahrsam begründet (Rengier Strafrecht BT I, § 2 Rn. 57).
Fallgruppe 4 – Verstecken: Wenn der Täter den Gegenstand im Machtbereich des Gewahrsamsinhabers versteckt, wird noch kein neuer Gewahrsam begründet, solange der Täter um Zugriff auf die Beute zu haben, fremdes Hausrecht verletzen muss und dabei die Gefahr besteht, entdeckt zu werden. Dann stehen der Ausübung der Sachherrschaft wesentliche Hindernisse im Wege (Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf Strafrecht BT, 3. Aufl. 2015, § 13 Rn. 60). Wenn der Täter die Sache jedoch so versteckt, dass er selbst freien und ungehinderten Zugriff auf die Sache hat, wird eine dem Tabubereich ähnliche Gewahrsamsenklave geschaffen. Der Ausübung der Sachherrschaft stehen keine wesentlichen Hindernisse mehr im Wege. Damit hat der Täter neuen Gewahrsam begründet (Rengier Strafrecht BT I, § 2 Rn. 58 f.).
Fallgruppe 5 – Gewahrsamslockerungen: Wird dem Täter eine Sache lediglich für einen kurzen Zeitraum, beispielsweise zur Anprobe oder Besichtigung, überlassen, wird damit durch den Täter noch kein neuer Gewahrsam begründet: der Gewahrsam des bisherigen Inhabers wird lediglich gelockert. Er wird erst neu begründet, wenn der Täter mit der Sache in Zueignungsabsicht verschwindet. Je nach Einzelfall bedarf es hierbei der Abgrenzung zur Unterschlagung bzw. zum Betrug (Rengier Strafrecht BT I, § 2 Rn. 60 ff.).
Step 5: Beendigung: Der Diebstahl ist beendet, wenn der Täter die Beute gesichert hat. Beispiele hierfür sind das Wegfahren vom Tatort oder das Verstecken des Diebesguts, was einen sicheren neuen Gewahrsam darstellt. Auch hier kann als Vollendung und Beendigung des Diebstahls zusammenfallen.